Theaterspektakel am Gries in Wasserburg
von Gabriele Granzer
Um es vorweg zu nehmen: Uwe Bertrams Theaterspektakel ist sehenswert und beeindruckend und das in vielerlei Hinsicht … die Menge der teilnehmenden Künstler und Künstlerinnen beeindruckt mich und die Zirkusfamilie Frank … das Zirkuszelt, das Kindheitserinnerungen weckt und fast schmerzhaft nostalgisch anmutet … seit Jahren traue ich mich in keinen kleinen Zirkus mehr, weil mich die Erinnerungen an alte und vergangene Zirkuszeiten traurig stimmen … wohin ist der Zauber der Manege, der Clowns, der Tiere … the show must go on … zeig dein lachendes Gesicht … wie`s drinnen aussieht geht niemanden was an … la Strada und Akrobat schööööön … natürlich spielt Bertram damit und der nostalgische Zauber funktioniert …
Oben am Orchesterbalkon sitzt die Band um Georg Karger: Pit Holzapfel, Anno Kesting, Wolfgang Roth und Leonhard Schilde … eine großartige, wunderbare Band … zart, schmetternd, punktgenau, witzig und mackiemesserscharf … mehr an Band geht nicht … und diese Band immer wieder zu gewinnen, ist Bertrams Leistung … die Musiker wirken als spielten sie zum puren Vergnügen und Vergnügen bereitet es auch
.Dann geht es los, im Zeltdach schwebt schon eine Schöne und die Schauspieler kommen:
Die Kassiererin mit platinblonder Marilynfrisur entpuppt sich sexy, wie es hier mädchenhaft staunend und lasziv schreitend nur Regina Semmler kann, als böser Handlanger und Mörder, Hilmar Henjes, als Titelheld Arturo, dummdreist und eitel übt mit dem Kamel den würdigen Gang, spielt und singt wie immer treffsicher und wirkt neben den Stelzenriesen erstaunlich zwergenhaft , geschrumpft fast … immer hat man den Eindruck, dass er sich selbst am meisten über seinen Aufstieg wundert – ganz so, wie es BB wohl im Sinn hatte … niemand ahnt, dass dieser Gnom, mit offenem Hosenstall alle wegfegen wird … niemand – nicht mal er selbst und wir stehen heute wieder da und wundern uns was menschenmöglich ist …
Großartig und im Brechtschen Sinne verfremdet sind die Figuren, die symbolhaft für das Kapital, die Presse, die Politik stehen – Stelzengeher: allen voran die riesige, schmale Annett Segerer, gleichermaßen überirisch als Mann und Ehefrau, die zuerst anklagend, sich dann doch der Angst und dem Zeitgeist folgend dem Mörder ihres Mannes anheimstellt … beeindruckend und unvorstellbar scheint es, wie diese, im „normalen Leben“ junge Mutter, die morgens in der Stadt ihren Kaffee trinkt, hier zur Kaminoanerin aus StarWar III mutiert, eine Fähigkeit, die mir gerade bei ihr immer wieder unglaublich auffällt … fies und schleimig Frank Piotraschke, an Haarmann erinnernd, diesem Mann möchte keine im Dunkeln begegnen, die Härchen stellen sich auf und frau ist froh, nicht in Berlin zu leben … dann Andrea Merlau, deren Stimme Kapriolen macht, wie ein wildes Zirkuspferdchen und das auf doch recht hohen Stelzen … zierlich jungenhaft bleibt, selbst auf Stelzen und für mich immer unvergessen als Dänenprinz im Labyrinth … lange her „am Stoa“, auch oft sehr schön und beeindruckend (das zum Thema nostalgisches Nachsinnen) – Nik Mayr … und routiniert und sprachgewaltig. Wie gewohnt beeindruckt Susan Hecker … für mich auch eine Mutter Courage, eine Seeräuber Jenny … und da sind wir bei der Frage gelandet, die mich das ganze Stück beschäftigte: warum entschied sich Bertram ausgerechnet für diesen sperrigen und sprechlastigen Arturo Ui … eine politische Wahl? … damit wäre er in guter, zumindest in aktueller Gesellschaft, man denke nur an die letzten Inszenierungen der Kammerspiele, an die Documenta, die Biennale … eine Hinwendung der Kunst zur Politik zeigt sich, manchmal vielleicht sogar auf Kosten der Ästhetik, der Kunst als eigenständiger Ausdrucksform … eine Vernachlässigung der Ästhetik kann man Uwe Bertram nicht vorwerfen, im gelingt der Spagat … er ist ja ohnehin eher dafür bekannt, auch mal „gegen den Strich zu bürsten“.
Vielleicht will er uns aber einfach auch nur zeigen, dass das ganze Leben ein Zirkus ist und wir alle Kamele!
Apropos Kamele, diese sanften, schönen Riesenwesen schreiten weich und kuschelfellig durch die Manege, als wären sie dafür geboren und wecken bei allen blankes Entzücken … der weißhaarige Zirkusdirektor, ganz archetypisch im vollen Ornat führt sie … und da wären wir wieder bei der schmerzhaften Nostalgie, die kaum zu ertragen ist … die jungen Artistinnen aber, die Töchter wohl, zeigen selbstbewusst und strahlend ihre luftige Akrobatik und hängen hoch oben und irdisch sexy im Zelthimmel mit der Selbstverständlichkeit einer verkörperten Tradition, die auch der junge Artistensohn, ein Augenschmaus, kraftvoll und im letzten Bild souverän zeigt: das Leben als ein äquilibristisches Tellerspiel … und alle Teller wackeln, keiner fällt … wie schön! … Arturo muss mithelfen … wie bedenklich!
Bertram stellt Schauspieler und Artisten collagehaft nebeneinander … als erfahrener Theatermann hat er wohl bewusst der Versuchung widerstanden, Zirkus und Schauspiel zu verbinden … so nach dem Motto: im Zirkus wird ein Stück aufgeführt … am großen Vorbild von Peter Weiss „Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats, dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade“ … wollt er sich nicht orientieren….auch nicht an Rosenmüllers „Sommer der Gaukler“ … möglich wäre es gewesen und gefallen hätte es mir auch … gern hätte ich auch die Dreigroschenoper gesehen oder die Mutter Courage …
Zuletzt treffen sich alle – Artistinnen und Musiker und Schauspieler, Hand in Hand, gehen im Kreis der Arena – ein schönes, versöhnliches, beeindruckendes Bild – so wünschte ich mir die Völkerfamilie – das uns zu anhaltendem Applaus inspiriert und mittendrin nochmal eine archetypische Mutter Courage, die Mutter der Kompanie, stolz und schön, Frau Frank.
So aber freu ich mich, dass hier „nach oben noch Luft“ ist … und dass diese Lieblingsstücke aufgeführt im Zirkus Boldini vielleicht noch kommen werden …
Wie auch immer … mehr kann an Gedanken- und Sinnenfutter in einer Sommernacht und einer Kleinstadt nicht geboten werden …
Wie sagt der Meister BB im Lied über die guten Leute?
Die guten Leute erkennt man daran
Dass sie besser werden
Wenn man sie erkennt…..
Gleichzeitig aber
Verbessern sie den, der sie ansieht und den
Sie ansehen….
Moral: Wasserburger,…wir sind privilegiert und dieses Privileg muss durch Interesse und Penunze verdient werden!