Mitgliederausstellung 2017 des Wasserburger AK68 – Galerie im Ganserhaus
Gabriele Granzer „mausetod“
Die gut besuchte Vernissage der 49sten Mitgliederausstellung des Wasserburger Kunstvereins AK68 verströmte erst einmal viel vorweihnachtliche Atmosphäre. Aus nasskaltem Schmuddelwetter in warme Räume einkehren zu können, schafft an sich schon Wohlbehagen und Konsens. So konnten auch die, wie üblich auf Vernissagen nicht wirklich zu rezipierenden Kunstwerke, durch kritische oder provozierende Positionen das Bild einer harmonischen Veranstaltung nicht trüben. Höhepunkt der Vernissage war denn auch der Auftritt des Nikolauses, in Person des viel gebuchten Ex- Stadtrats Peter Stenger, sekundiert von der rührigen 2. Vorsitzenden Katrin Meindl, die mit großer Spielfreude knurrend und fauchend in ihrer Rolle als Krampus aufzugehen schien.
Es folgten Lob und Tadel. Lob galt dem Vorstand, insbesondere seinem früh fertiggestellten Jahresprogramm 2018, augenzwinkernder Tadel dem sporadisch losen Mundwerk des Manuel Michaelis, nach dessen Konzept und Themenvorschlag „Reproduktion“ die Mitgliederausstellung dieses Jahr gestaltet wurde. Zum Schluss konnten es sich die Ghostwrighter des goldenen Buches nicht verkneifen, ihren Ärger über „die hinterhältige Kritik in Presse und Blogs“ durch den aufrichtig bemühten Nikolaus verkünden zu lassen. Mit Krampussin Meindls finalem Fauchen-Fuchteln-Rutenschwingen war damit auch dem letzten Besucher klar, dass er in der Mitte der Gesellschaft angekommen war, im Auge der Provinz, im Zentrum von Provinzialität. Man konnte mühelos vergessen, dass man sich auf der Vernissage eines Kunstvereins befand und nicht etwa auf der Weihnachtsfeier eines Autohauses.
An einem stillen nachweihnachtlichen Sonntag besuchte ich die Ausstellung noch einmal, wie zu erwarten in menschenleeren Räumen. Das ist bedauerlich, handelt es sich doch mit dem Thema „Reproduktion“ um ein – eigentlich – interessantes Sujet. Nun kann niemand dem renommierten AK68 einen Vorwurf machen und auch nicht der per se oberflächlichen Berichterstattung der regionalen Presse, dass sich die Besucherzahlen der regionalen Kunstvereine in so einem krassen Gegensatz zum populären Run auf die Sonderausstellungen und Hype-Events der Metropolen befinden. Die Provinz ist nur in Ausnahmefällen in der Lage Kultur- und Bildungserlebnisse als Spektakel glamourös-trojanischer Pferde zu präsentieren.
Um aber wenigstens dem Vorurteil des Provinziellen zu entgehen, sollte man zumindest die schlimmsten Fehler vermeiden, wie etwa die wirren Thesen im Konzept der diesjährigen Mitgliederausstellung des AK68.
Marcel Duchamp „Fountain“
Schon zu Beginn lässt der Spiritus Rektor des Entwurfs, Manuels Michaelis in seinem Expose die (Kunst)Begriffe gründlich verdampfen. Klassische Veduten- und Porträtmalereien werden als „Darstellungen, in reproduzierender Weise“ (Michaelis) definiert und „die Reproduktion des Gesehenen“ als „Grundlage der künstlerischen Interpretation“ (Michaelis) gedeutet. Das ist kunsttheoretisch und wahrnehmungspsychologisch einfach Käse. Dabei hätte doch ein einziger Blick auf Wikipedia genügt: “In der Kunst steht der Begriff Reproduktion für die Wiederholung eines Kunstwerkes in originaler Technik, wenn die künstlerische Technik das vorsieht (Druckgrafik, Kunstguss) oder übertragener Technik (Kunstdruck), handgemalte und detailgetreue Kopie eines Ölgemäldes etc.). Bei Reproduktionen, bei denen jedes Stück als Werk gilt, – nicht als Kunstwerk – spricht man von Auflage einer Reproduktion.“ In dieser Definition zeigt sich der deutliche Gegensatz zur klassischen Herstellung von Kunstwerken. So abstrahieren und materialisieren Künstler, selbst Kunsthandwerker ihre Wahrnehmungserlebnisse in einem singulären Akt, den „Rekonstruktionen“ eines bereits im Wahrnehmungsprozess interpretierenden Gehirns. Erst in der Folge dieses Produktes ist die Reproduktion möglich. Die primäre künstlerische Leistung aber ist niemals reproduzierend, selbst wenn sie wie Duchamp die industrielle Reproduktion eines Urinals zum Kunstwerk erklärt. Der künstlerische Akt ist hier nicht die Reproduktion, sondern die kognitive Leistung ihrer Umdeutung in ein Kunstwerk.
Manuel Michaelis krönt denn auch seine Theorien mit der Feststellung: „…dass spätestens mit der Anerkennung von Marcel Duchamps Fotografie eines Urinals als Kunstwerk, ein weiterer Aspekt der Reproduktion hinzugefügt wird“ (Michaelis). Die Fotografie von Alfred Stieglitz, auf die sich Michaelis bezieht ist aber lediglich das fotografische Dokument eines Readymades namens „Fountain“. Weder erklärte Stieglitz dieses Dokument des Duchampschen Readymades zum Kunstwerk noch reproduzierte er es damit. Stieglitz produzierte nichts weiter als das Lichtbild eines Gegenstandes! Es ist aber gut möglich, dass es sich um irreführende, syntaktische Schwächen des Konzepts handelt, das missverständlich darstellt, welche Reproduktion tatsächlich gemeint ist.
Andy Warhol „Brillo Box“
Bedauerlicherweise verhindert Michaelis durch diese Melange gewagter Hypothesen und der unbedachten Verwendung von Begriffen schon im Vorfeld die wirklich aktuellen und virulenten Anwendungs- und Deutungsfragen von Reproduktionen. Denn speziell die neue Medienkultur bietet als hypnotischen Ersatz für die kontemplative Betrachtung eines anwesenden Originals oder ihrer Reproduktionen in Büchern, Katalogen und Postern, nur noch den kurzen Blick auf die inflationären Bilder einer nie dagewesenen Klickökonomie mit seinen konkurrenzlosen Aha-Erlebnissen zwischen den Hyperlinks. Das Ausstellungskonzept endet schließlich in vagen Differenzierungen von Original und Reproduktion, eine mit Warhols „Brillo Box“ seit Ende letzten Jahrhunderts als „Die Verklärung des Gewöhnlichen“ geführter Diskurs. Damit brüht Michaelis einen kunsthistorisch seit den 1960er Jahren bis zum Bodensatz gerührten, kalten Kaffee auf und verschenkt die drängenden Fragen nach den Zukunftsperspektiven einer virtuellen Welt und ihrer Reproduktion an ein verwirrendes Begriffsdilemma. Die abschließende Frage im Konzept: „(…), ob die Reproduktion noch als Kunstwerk wahrgenommen werden kann“ bleibt, – trotz (m)einer Ahnung, was gemeint sein könnte, – der Gipfel eines semantischen Fiaskos.
Abseits dessen aber gab es nicht wenige Mitglieder, die sich überraschend originell um ästhetische Klarheit und inhaltliche Transparenz zum Thema „Reproduktion“ bemühten. Dazu gehört das organische Objekt „Myzel“ von Andreas Irtel, ein in Plastikfolie gewickelter Pilz, der zwischen abstrakter Skulptur und Objet Trouve oszilliert. Die geheimnisvolle Ästhetik des Objekts spielt mit verschiedensten Assoziationen angesichts eines aus der Erde hervorgeholten, grotesken Objekts, dessen einziger Zweck es zu sein scheint, sich bis ins Monströse zu vervielfältigen oder zu reproduzieren.
Andreas Irtel, „Myzel“
Andreas Fischer begegnet den Herausforderungen der Reproduktionstechnologie wie üblich mit Spass und Ernst. Mit seiner Installation Clon-Checker, dessen Roboteranmutung mit Nudelsiebhelm sich zwar als Karikatur vom Drama einer moralisch so fragwürdigen wie unüberschaubaren Technologie distanziert, gleichzeitig aber genau dadurch darauf hinweist.
Eine der wenigen professionellen KünstlerInnen der Ausstellungen ist Martha Fischer. Mit der geübten Sensilbiltät einer professionellen Malerin für Oberflächen und Strukturen zeigt Martha Fischer das Dipthychon zweier Arbeiten in Schwarzweißkopien. Dabei ist es erstaunlich, wie durch die SW-Kopie der Abstraktionsgrad ihrer figürlich angelegten Malereien verstärkt und deren gestische Kraft in eine anderem Medium, einer Papierarbeit quasi eingefroren werden kann.
Martha Fischer, „2 x selbst“
Ebenfalls ein ausgewiesener Oberflächenästhetiker ist Severin Zebhauser. Seine minimalistisch ausgeführte Reproduktionstechnik in Form von Prägedrucken bieten alles, was das Feingefühl fürs Material hergibt. Die in der Behandlung des Sujet und seiner Stofflichkeit so schlichte Arbeit, lässt entgegengesetzt zu ihrem Minmalismus dem Material und der eigenen sinnlichen Wahrnehmung maximalen Raum.
Abb. Severin Zebhauser, „Produktion“
Uli Reiter, der, wie ich glaube, als einziger Teilnehmer dieser Ausstellung das Etikett „Politkünstler“ verdient hätte, kommentiert in seiner symbolhaften Installation und sehr passend in den gruftigen Gewölbekeller gestellt, die systemimanenten Kreisläufe eines sich stetig selbstreproduzierenden Kapitalismus.
Uli Reiter „Der größte Konsument der Wrtschaft ist ihre Produktion“
So wäre man fast versöhnt, wäre da nicht die Spendenaktion “release a bee“ des Roland Hanisch, dessen bemalte Pappkonstruktion sich in der Mitgliederausstellung als interaktive Installation gibt. Die Besucher werden dort schriftlich aufgefordert gegen einen kleinen Betrag, kleine runde Klebezettelchen aus einer Schachtel zu ziehen und sie anschließend mit einem Bienensymbol zu stempeln. Der Erlös soll dann in Wildblumensamen investiert werden. Diese gestempelten Zettelchen finden sich nun an allen Wänden der Ausstellung, auf Türrahmen, Lichtschaltern, manchmal direkt neben den Arbeiten und ab und zu auch mittendrauf.
Auf eine bestimmte Weise schließt sich damit der Kreis im neuen Vorstand eines Kunstvereines der aktionistisches Mitmachspektakel kuratorischer Sorgfalt vorzieht. Man kann dem jungen Vater Roland Hanisch seine Kita-Ästhetik in der unjurierten Mitgliederausstellung nicht einmal vorwerfen, wohl aber einem kuratierenden Vorstand, der, wie es scheint, im falsch verstandenen Pluralismus der Postmoderne, die Entgrenzung der Souveränität von Kunstwerken billigend in Kauf nimmt. In diesem Geist des „anything goes“ und einer scheinbar humoresken Attitüde, die von ernsthafter Auseinandersetzung weit enfernt scheint, postet der 1. Vorsitzenden Dominic Hausmann, ungeachtet seiner Position, auf Instagramm das Bild der verunstalteten Skulptur von Andreas Kuhnlein auf dem Wasserburger Skulpturenweg, für den der AK68 verantwortlich ist. Die 25 „likes“ die Hausmann dafür kommentarlos entgegennimmt erscheinen wie der Applaus Kunst verständnislos gegenüberstehender User.
Hausmann Instagramm Post, Roland Hanisch, „ releas the bee“
Mit diesem merkwürdig unernsthaften Auftritt ihres 1. Vorsitzenden, dem Nikolaus als Vernissagenredner und einer Mitgliederausstellung, die sich zum Schaden seiner Teilnehmer mittels naiver Betroffenheitsperformance in Biene Majas Klatschmohnwiese verwandelt, darf gefragt werden, ob die Leitung des AK68 sich nun endgültig entschieden hat, an der Infantilisierung der Gesellschaft teilzunehmen.
Trotz alledem ist dem Verein und seinen Mitgliedern im neuen Jahr zu wünschen, sich ihres Rufs und ihrer Fähigkeiten zu erinnern der Vermittlung und Verbreitung von Kunst und seiner Diskurse zu dienen, den Herausforderungen des postmodernen Pluralismus mit kuratorischer Sorgfalt zu begegnen, sich ein vitales Bewusstsein, größtmögliche Aufmerksamkeit und Hingabe für jede künstlerische Position zu bewahren und jedes Werk und jeden Künstler aus ganzem Herzen zu verteidigen.
Noch bis 07. Januar 2018, Galerie im Ganserhaus, Wasserburg am Inn